Mehr Beachtung für Gender-Aspekte in EU-Forschungsprogramm erforderlich

Interview
31.01.2012

Prof. Ineke Klinge Ph.D. ist Lehrbeauftragte für Gendermedizin an der Universität Maastricht (Niederlande). Sie kombinierte ihre Ausbildung in biomedizinischen Wissenschaften, mit Spezialisierung in Immunologie, mit Genderforschung. Seit über zehn Jahren ist sie in leitenden Funktionen in zahlreichen europäischen Forschungsprojekten zum Thema Gender in der Wissenschaft, mit Schwerpunkt auf Biomedizin und Gesundheitswissenschaften, involviert.

Prof. Ineke Klinge
Frau Prof. Klinge, wie wird das Thema Gendermedizin in den Niederlanden behandelt?

Prof. Klinge: Bei ist die Gendermedizinbewegung weniger organisiert als beispielsweise in Deutschland oder Schweden, ganz zu schweigen von Ländern wie zum Beispiel Kanada.
Meine Kollegin Toine Lagro-Janssen von der Radboud Universität in Nijmegen hat sich erfolgreich dafür eingesetzt, dass geschlechtsspezifische Aspekte in die medizinische Ausbildung integriert werden. Es auch an anderen niederländischen medizinischen Universitäten einzuführen, war allerdings schwierig.
An der Universität Maastricht habe ich vor circa zehn Jahren Gender Studies in die Gesundheitswissenschaften (health sciences) implementiert, der Abschluss wurde aber im Zuge der Umstellung auf Bachelor und Master wieder abgeschafft. Seitdem arbeite ich daran, Gender in der Forschung und im Curriculum zu “mainstreamen”. Das könnte ein Alleinstellungsmerkmal für die Universität von Maastricht werden. 2011 bekam ich Unterstützung dafür, einen Kurs in Gendermedizin zu entwickeln, der ab Ende 2012 sowohl im Curriculum für Medizin, als auch für biomedizinische Wissenschaften und Gesundheitswissenschaften angeboten werden soll. Das wird mir erleichtert durch die Lehrmaterialien, die im Rahmen des EU-finanzierten ERASMUS-Programms EUGIM für ein flexibles Master Modul "Gender Medicine (GM)" entwickelt wurden.

Welche Rolle spielt die Europäische Union in der Forschungsförderung für Gendermedizin?

Prof. Klinge: Seit 2000 hat sich einiges bewegt. Damals habe ich bei der ersten “Genderverträglichkeitsprüfung” des fünften EU-Forschungsrahmenprogramms den Bereich Lebenswissenschaften geprüft. Es stellte sich heraus, dass es noch viel Nachholbedarf gab, in den Inhalten der Forschung, ebenso wie bezüglich der Beteiligung von Frauen auf allen Entscheidungsebenen. Diesbezügliche Empfehlungen wurden im sechsten Rahmenprogramm der EU umgesetzt, und alle Finanzierungsanträge für große Forschungsprojekte mussten in den folgenden vier Jahren einen “Gender-Aktionsplan” beinhalten. Ich habe damals ein EU-finanziertes Projekt zur Förderung der Integration der Gender-Dimension in der Grundlagenforschung geleitet. Leider wurde diese Integration der Gender-Dimension von vielen Forscher/innen als “Top-Down”-Maßnahme der Europäischen Kommission empfunden. Es gab weder in der Kommission noch bei vielen Forscher/innen ausreichende Expertise. Das hat eine wirkliche Einbeziehung von Genderaspekten erschwert. Die Forscher/innen haben sich dann beschwert, dass die Förderung der EU zu schwerfällig und bürokratisch sei, und im siebten Rahmenprogramms wurden die Gender-Anforderungen zurückgeschraubt, zusammen mit Anforderungen zu weiteren Querschnittsthemen. In dieser Förderperiode gibt es allerdings einige genderspezifische Projekte, zum Beispiel zu strukturellen Veränderungen in Forschungsinstitutionen. Außerdem unterstützt die EU die Innovation in Inhalten der Forschung. Wir arbeiten dazu in einer Expert/innengruppe zur Innovation durch Gender in Wissenschaft, Gesundheit/Medizin und Ingenieurswesen. Auf der neuen Website Gendered Innovations präsentieren wir verschiedene Methoden für die Analyse von „Sex“ und „Gender“ in der Grundlagen- und angewandten Forschung . Durch Fallstudien veranschaulichen wir, wie diese Methoden angewandt werden können. Unser Ziel ist, dadurch die Kreativität in der Forschung und Innovation in der Wissenschaft anzuregen. Das weltweite Interesse an unserer Website bestärkt uns in diesem Ansatz.

Wo sehen Sie derzeit Handlungsbedarf?

Prof. Klinge: ich wünsche mir, dass bezüglich Gender in der Wissenschaft und Forschung die Niederlande wieder mehr Initiative ergreifen würden. Nachdem sie in den 1990ern führend waren, sind sie inzwischen im europäischen Vergleich zurückgefallen. Die niederländische Regierung sollte zum Beispiel erfahren, dass das deutsche Bundesministerium für Bildung und Forschung die Gendermedizin aktiv unterstützt, wie zum Beispiel durch die internationale Tagung in November 2011.

In den Niederlanden könnte beispielsweise die Anwendung der Gendered Innovations - Methoden als Kriterium für öffentliche Förderung von Forschung und Entwicklung im Gesundheitsbereich eingeführt werden.

Außerdem ist es wichtig, dass in dem zukünftigen EU-Forschungs-Rahmenprogramm die Genderperspektive wieder die notwendige Beachtung erfährt. Das bedarf einer Lobbyarbeit, die wir als einzelne Wissenschaftler/innen nicht leisten können. Es müssten sich beispielsweise auch Direktor/innen von einflussreichen Forschungsinstituten oder Europa-Parlamentarier/innen dafür einsetzen.

Ich wünsche mir auch, dass das Thema Gendermedizin durch die Medien eine breitere Öffentlichkeit erreicht. Dafür ist die Zusammenarbeit mit Medienexpert/innen wie im Netzwerk Gendermedizin und Öffentlichkeit sehr wichtig.
(Das Gespräch führte Karin Heisecke.)

Weitere Informationen unter:
http://gendermedcongress2011.net/de/faculty_d/klinge_d.php
http://gender.charite.de/studium/eugim/
http://www.genderbasic.nl
www.genderedinnovations.eu

Und noch mehr zur EU-Forschung:
Prof. Dr. Vera Regitz-Zagrosek, Berlin, hat uns per Mail auf das Horizon EU Rahmenprogramm für Forschung und Innovation
http://ec.europa.eu/research/horizon2020/index_en.cfm?pg=home
aufmerksam gemacht. Sie bittet alle Wirtschaftler/innen und Ärzt/innen, das Manifesto for Integrated Action on the Gender Dimension in Research and Innovation
http://bit.ly/rLS7cn
zu unterzeichnen. Die EU-Forschung braucht genderorientierte Inhalte!
Mehr zum Thema